Inkontinenz bei älteren Menschen kann zu Schamgefühlen und Isolation vom gesellschaftlichen Leben führen und ist ein Problem, das sowohl mit gezielten medizinischen Behandlungen als auch bei Bedarf mit emotionaler Unterstützung gehandhabt werden muss, um zu verhindern, dass der oder die Betroffene es benutzt, um soziale Kontakte und Angehörige zu meiden.
Wir haben Dr. med. Michele Ferretti, Facharzt für Geriatrie und Allgemeine Innere Medizin der Klinik Moncucco in Lugano, gebeten, uns das Thema Inkontinenz bei älteren Menschen näher zu erläutern.
„Inkontinenz lässt sich in drei große Gruppen unterteilen: Belastungsinkontinenz – in diesem Fall reicht es beispielsweise bereits aus, zu husten, um ein paar Tropfen zu verlieren; Dranginkontinenz – wenn der oder die Betroffene nicht rechtzeitig auf Toilette kommt; und gemischte Inkontinenz, bei der beide oben aufgeführten Faktoren ins Spiel kommen“, erklärt der Geriater der Klinik in Lugano.
Wodurch werden diese drei Arten der Inkontinenz bei älteren Menschen verursacht?
„Es gibt viele Ursachen hierfür: von einer banalen Harnweginfektion bei einem Menschen mit mangelnder Muskelkraft im Beckenboden über Muskelinkompetenz aufgrund von Muskelalterung bis hin zu Blasenhyperaktivität.“
Dieses Problem betrifft darüber hinaus nicht nur die Harninkontinenz, sondern auch die Stuhlinkontinenz, auch wenn diese beiden Beschwerden selten gemeinsam auftreten, wie Dr. Ferretti hinzufügt.
„Sehr oft handelt es sich bei Harninkontinenz und Stuhlinkontinenz um zwei separate Probleme, die oft auch getrennt auftreten. Gemeinsam treten sie normalerweise nur bei zugrunde liegenden neurologischen Erkrankungen auf. Wenn sich der Beckenboden aufgrund von Muskelverlust oder fehlender Innervation entspannt, können sie jedoch durchaus gleichzeitig vorkommen.
Allgemein denkt man bei der Behandlung von Inkontinenz nur an Windeln. Für dieses Problem stehen jedoch noch weitere Möglichkeiten zur Verfügung.
„Es gibt mehrere Behandlungsformen und Therapien für Inkontinenz: von der Kausaltherapie wie beispielweise bei einer Infektion bis hin zu einer pharmakologischen Behandlung, die die Aktivität des Detrusors (der zur Entleerung der Harnblase verantwortliche Muskel) gezielt beeinflusst. Außerdem gibt es physiotherapeutische Ansätze zur Muskelstärkung. Und bei bestimmten Arten der Inkontinenz ist auch ein medizinischer bzw. chirurgischer Eingriff möglich.
Der erste Schritt ist in jedem Fall ein Gespräch mit dem Arzt oder mit dem häuslichen Krankenpflegepersonal, um eine Lösung zu suchen, ohne das Problem zu banalisieren“, rät Dr. Ferretti.
„Bei der Stuhlinkontinenz handelt es sich oft um ein komplexeres Problem. Aber auch in diesem Fall gibt es interessante Ansätze in der Physiotherapie und in der Chirurgie, mit Hilfe von Neurostimulatoren.“
Kann die Inkontinenz bei älteren Menschen vollständig heilen? „Sicherlich gibt es Behandlungsmöglichkeiten, um die Symptome stark zu reduzieren, und wenn die Ursache eine Infektion ist, ist praktisch immer eine Heilung möglich. Bei Muskelproblemen oder neurologischen Krankheiten kann die Inkontinenz dagegen nur gemildert werden. In jedem Fall muss man mit dem Patienten sprechen und bewerten, welches Ziel er erreichen möchte und welches die unangenehmsten Situationen sind. Auf der Grundlage dieser Erwägungen werden dann individuelle Lösungen gesucht.“
Was den Umgang mit der Inkontinenz eines Angehörigen in der Familie betrifft, muss zunächst zwischen Patienten mit und ohne kognitive Störungen unterschieden werden, wie der Geriater erklärt:
„Bei kognitiven Störungen muss zunächst mit dem Arzt und dem häuslichen Krankenpflegepersonal offen darüber gesprochen werden. Darüber hinaus sind Infektionen als Ursache auszuschließen und eventuell eine Therapie zu verordnen. Dabei ist allerdings auf die Wechselwirkungen und die Gefahr eines Deliriums zu achten, die leider bei einigen dieser Behandlungsformen besteht. Wenn keine kognitiven Störungen vorliegen, ist die unterstützende Rolle der Familie von grundlegender Bedeutung. In beiden Fällen darf das Problem jedoch weder stigmatisiert noch banalisiert werden.“
Kann psychologische Hilfe für ältere Menschen nützlich sein, die an Inkontinenz leiden?
„Psychologische Hilfe ist vor allem dann nützlich, wenn der oder die Betroffene über introspektive Fähigkeiten verfügt, da eine solche Hilfe vom Patienten angenommen und gezielt ausgerichtet sein muss. Bei Patienten mit kognitiven Störungen ist ein solcher Ansatz dagegen leider kaum wirksam“, fährt Michele Ferretti fort.
Psychologische Hilfe ist wichtig, aber nur im Rahmen eines ganzheitlichen Ansatzes. Kann man Inkontinenz im Alter vorbeugen?
„Für die Vorsorge gibt es leider nur begrenzte Möglichkeiten. Es ist allerdings sicher hilfreich, physiotherapeutische Übungen zu machen, um den Muskeltonus zu verbessern, und auch Verhaltensweisen und Situationen zu vermeiden, die für die Betroffenen Probleme mit sich bringen können (z.B. Orte ohne Toiletten oder die Unmöglichkeit über längere Zeit, auf die Toilette gehen zu können, Flüssigkeitszufuhr in bestimmten Momenten).
Eine wirkliche Vorsorge gibt es nicht, und oft kümmert man sich erst um Inkontinenz, wenn die Symptome bereits auftreten“, so im Abschluss Dr. med. Michele Ferretti, Facharzt für Geriatrie und Innere Medizin der Klinik Moncucco.